Diversity-Talk mit Dimitri Bilyarchyk

Am 27.02. findet der 3. DIVERSITY IN HEALTH CONGRESS statt, der dem Anliegen gewidmet ist, ein umfassendes Verständnis für die Bedeutung von Diversität im Gesundheitswesen zu fördern und dem Thema eine Plattform zu bieten. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie ein gleichberechtigter Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglicht werden kann, der die verschiedenen Bedürfnisse berücksichtigt. Wir wollen im Vorfeld der Veranstaltung mit Speaker:innen des Kongresses ins Gespräch kommen, um persönliche Einblicke in die Bedeutung von Diversität im Gesundheitswesen zu gewinnen. Unseren ersten #Diversity-Talk führten wir mit Dimitri (Dima) Bilyarchyk durch.

Dima ist Mitgründer von Every Health, einem Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von Gesundheitslösungen für die LGBTQ+ Community spezialisiert hat. Mit persönlichen Erfahrungen im Umgang mit den Herausforderungen der LGBTQ+ Gemeinschaft im Gesundheitswesen setzt Dima sich aktiv für eine inklusive Gesundheitsversorgung ein. Seine Vision ist es, eine Online-Klinik zu etablieren, die die spezifischen Bedürfnisse der queeren Community adressiert und ihnen auf Augenhöhe mit dem notwendigen Fachwissen begegnet.

 

INNO3: Was verstehst du unter Diversität im Gesundheitswesen?

Dima: Diversität im Gesundheitswesen bedeutet für mich nicht nur eine vielfältige Behandler:innenseite, sondern auch ein tiefes Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse und Situationen der Patient:innen. Es geht darum, anzuerkennen, dass Menschen verschiedene Bedarfe haben und aus unterschiedlichen Lebenssituationen kommen. Wir müssen verstehen, dass die Gesundheitsversorgung nicht nach dem Prinzip „One-Size-Fits-All“ funktionieren kann. Besonders in unserer heutigen Zeit, in der wir nahezu jedes Detail, sogar bis zum Türgriff bei der Autobestellung, personalisieren können, sollten wir nicht mehr akzeptieren, dass Anmeldebögen nur die Optionen Mann oder Frau bieten.

„Queere Menschen fühlen sich bei Ärzt:innen aufgrund fehlendem Fachwissen, Stigmatisierung und Diskriminierung, die sie tagtäglich in Behandlungszimmern erfahren, oft sehr unwohl.“

Außerdem ist es wichtig, die verschiedenen Dimensionen von Diversität zu beachten, insbesondere solche, die nachweislich einen Einfluss auf die Gesundheit haben. Ich spreche hier nicht nur von offensichtlichen Faktoren wie biologischem Geschlecht, sondern auch von Herkunft, Hautfarbe, sozialem Background, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung – was bei bei Every Health der Fokus ist.

In der Gesundheitsversorgung muss uns bewusst sein, dass manche Gruppen ein erhöhtes Risiko für bestimmte gesundheitliche Probleme haben. LGBTQIA+ Personen haben beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko, positiv auf eine Geschlechtskrankheit getestet zu werden als eine cis-heterosexuelle Person und ein dreifaches so hohes Risiko, an klinischer Depression oder an Suizidgedanken zu leiden. Gleichzeitig fühlen sich queere Menschen bei Ärzt:innen aufgrund fehlendem Fachwissen, Stigmatisierung und Diskriminierung, die queere Menschen tagtäglich in Behandlungszimmern erfahren, oft sehr unwohl.

Das wiederum liegt nicht zuletzt daran, dass unser Gesundheitswesen sehr undivers ist. Oft fehlt auch die Offenheit, sich auf Neues einzulassen und sich entsprechend weiterzubilden. Das muss sich ändern und wir können nicht einfach sitzen und warten, bis die neue Generation von Mediziner:innen dran ist, sondern müssen jetzt aktiv handeln!

INNO3: Wie hat deine eigene Geschichte oder die von Bekannten aus der Community deine die Arbeit beeinflusst?

Dima: Meine Mitgründer:innen und ich waren alle schon selbst in Situationen, wo wir einem Arzt oder einer Ärztin erklären mussten, welche Tests benötigt werden oder was für eine bestimmte HIV-Präventionsmedikation es gibt und wie man sie verschreiben kann. Als die HIV-PrEP in Deutschland eingeführt wurde – damals noch in Blistern und auf Privatrezept, wollte ich sie ausprobieren. Ich ging zu dem einzigen Arzt in Mannheim (einer 300.000 Einwohner:innen-Stadt!), der sich offen dazu bekannte, die PrEP zu verschreiben. Die Beratung war hilfreich, und ich konnte die Medikamente erhalten. Kurz darauf ging ich zu meiner Hausärztin wegen einer banalen Impfung und erwähnte beiläufig, dass ich die PrEP einnehme. Auf einmal hörte sie auf zu tippen, und schaute mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, dass der Himmel grün sei. Ich musste ihr erklären, was die PrEP ist, dass ich nicht HIV-positiv bin, da sie direkt angefangen hatte, den Wirkstoff in ihrer Datenbank zu suchen und das eben auch der Wirkstoff ist, der bei der HIV-Behandlung verwendet wird. Solche Situationen ereignen sich immer noch täglich in Praxen, Krankenhäusern und bei Telefonaten mit Krankenkassen – und das ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs.

„Unser Ziel ist es, der queeren Community die Versorgung zu bieten, die sie verdient: Mit dem nötigen Fachwissen, Empowerment und Partizipation.“

Wir haben letztes Jahr 1000 queere Menschen in Deutschland zu ihren Erfahrungen im Gesundheitswesen befragt. Die Ergebnisse dieser Umfragen waren erschreckend: Nur vier von zehn LGBTQIA+ Menschen sind zufrieden mit ihrem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Teilnehmenden haben uns teilweise Horror-Stories erzählt von Ärzt:innen, die Homosexualität immer noch als Krankheit betrachten oder von einem Arzt, der einem Patienten gesagt haben soll: “Wenn sie erwarten, dass ich geschlechtsneutrale Sprache verwende, dann können sie gleich wieder gehen.”. Solche Erfahrungen und Berichte trieben uns an, Every Health zu gründen. Unser Ziel ist es, der queeren Community die Versorgung zu bieten, die sie verdient, mit dem nötigen Fachwissen, Empowerment und Partizipation.

INNO3: Was sind die größten Herausforderungen in deiner Arbeit? Und generell die Herausforderungen hinsichtlich eines diversen Gesundheitssystems?

Dima: Die Kernprobleme, mit denen wir konfrontiert sind, wurzeln in einem überholten Gesundheitswesen und in Gesetzgebungen, die den Anforderungen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht werden. Während Datenschutz und Verbraucher*innenschutz unbestreitbar wichtig sind, müssen wir darauf achten, dass diese nicht in endloser Bürokratie und Bevormundung ausarten und somit innovative Entwicklungen blockieren. Es ist essenziell, dass wir Strukturen schaffen, die Fortschritt ermöglichen, anstatt ihn durch übermäßige Reglementierungen und veraltete Ansätze zu ersticken.

Darüber hinaus fehlt es oft an Verständnis für die Bedarfe unterschiedlicher Menschen. Aktuell haben wir ein Gesundheitssystem, welches Einheitslösungen fördert, was wiederum zu einer zunehmend unpersönlichen Gesundheitsversorgung führt.

Die Angst vor Neuem ist allgegenwärtig und führt dazu, dass wir schon so viele Chancen bei der Digitalisierung und bedarfsgerechter Versorgung verpasst haben. Wir müssen den Behandler*innen, innovativen Konzepten und nicht zuletzt auch den Patient*innen endlich mehr zutrauen!

INNO3: Mein wichtigster Grundsatz für inklusive Gesundheitsversorgung ist …

Dima: … die Welt aus den Augen des einzelnen Individuums sehen.

IINNO3: Ein Missverständnis über Diversität im Gesundheitswesen, welches ich aufklären möchte ist …

Dima: Es reicht nicht, einfach nur eine Regenbogenflaggen-Sticker auf die Tür zu klatschen und dann denken damit sei alles erledigt. Diversität muss bei jedem Schritt in der Versorgung mitgedacht werden: Von einfach zugänglichen Onlineangeboten, über barrierefreie Einrichtungen bis hin zu passend geschultem und sensibilisierten Empfangspersonal.