Lena Dimde und Charly Bunar sind Product Ownerin und Produktmanager für die elektronische Patientenakte (ePA) bei der gematik.
Wir haben mit ihnen über die aktuelle Entwicklung und Zukunft der ePA gesprochen. Dabei gaben sie spannende Einblicke in den bisherigen Rollout, die geplanten Funktionen sowie die Herausforderungen und Potenziale der ePA. Im Interview erklären sie, welche Features bereits erfolgreich eingeführt wurden, welche Vorteile die ePA für Patient:innen, Leistungserbringende und das gesamte Gesundheitssystem mit sich bringt und welche technologischen Entwicklungen wir in den nächsten Jahren erwarten dürfen.
Lena und Charly werden beim ePA SUMMIT am 19. November in Essen dabei sein, die Opening-Session mitgestalten sowie in zwei Sessions moderieren, die den aktuellen Status quo sowie konkrete Anwendungsfälle der ePA behandeln.
INNO3: Welche Funktionen der elektronischen Patientenakte (ePA) sind bereits heute erfolgreich implementiert?
gematik: Im Grunde genommen gibt es das technische System der elektronischen Patientenakte (ePA) heute schon in Deutschland. Seit dem 01.01.2021 stellen alle gesetzlichen Krankenkassen die ePA-Aktenkonten bereit, für ihre Versicherten auch die ePA-Apps und die Primärsystemhersteller haben die ePA grundsätzlich in ihren Systemen implementiert.
Verbesserungspotenzial besteht bei der aktuellen ePA sowohl in der Anzahl der Versicherten und Versorgenden, die von einem ePA-Aktenkonto profitieren, als auch in der Art der Implementierung in den Primärsystemen und der Alltagstauglichkeit der ePA(-Architektur).
Die aktuelle und neue ePA lassen sich daher gar nicht so einfach miteinander vergleichen, eben weil sich die Architektur mit der neuen ePA verändern wird. Funktional nehmen wir allerdings einige Features mit, die weiterhin verfügbar sein werden: Versicherte können mithilfe der ePA-App selbstständig mit der ePA arbeiten; Versicherte und Versorgende können Dokumente hochladen, herunterladen, Metadaten korrigieren und bei Bedarf löschen; mittels der Protokollfunktion können Versicherte nachvollziehen, was in ihrer ePA passiert ist; zudem können sie bis zu fünf Vertreter:innen benennen, die für sie mit der ePA arbeiten dürfen.
INNO3: Welcher Umfang erwartet die Nutzer:innen zum Start des Opt-Out-Rollouts im Januar 2025? Was ist neu?
gematik: Neu ist sowohl die Architektur und damit das, was sozusagen „im Hintergrund“ passiert. Die neue Architektur ermöglicht eine performante ePA. Die Ausrichtung der ePA liegt nun nicht nur auf einer sicheren Datenablage, sondern vor allem auf der Datennutzung zum Behandlungszeitpunkt.
Wesentlich dafür ist, dass die ePA-Aktenkonten bis auf Widerspruch angelegt werden, dass Versorgende automatisch mit der ePA arbeiten dürfen, wenn die elektronische Gesundheitskarte eingelesen wurde, und dass das Primärsystem möglichst automatisiert neue Dokumente hochladen soll, um für Informationszuwachs in der ePA zu sorgen.
Ein spürbarer Mehrwert für alle wird das Zusammenspiel mit dem E-Rezept sein: Verordnungsdaten – das heißt, welches Medikament die Ärztin oder der Arzt den Versicherten empfiehlt und folgerichtig verschreibt sowie Dispensierdaten – also welche E-Rezepte die versicherte Person eingelöst hat und welche Medikamente in der Apotheke ausgegeben wurden – werden erstmals zusammengefasst und sind für die Beteiligten sichtbar. Die Mehrwerte davon: Ein schneller Überblick über die Medikamente, wodurch eine Bewertungsgrundlage für nächste Therapieschritte ermöglicht wird. Diese Informationen sind Basis für eine verbesserte Arzneimitteltherapiesicherheit und stärken zugleich die Patientensicherheit.
„Ein spürbarer Mehrwert für alle wird das Zusammenspiel mit dem E-Rezept sein: (…) Verordnungsdaten und Dispensierdaten werden erstmals zusammengefasst und sind für die Beteiligten sichtbar.“
INNO3: Welche wesentlichen Vorteile bietet die ePA und wie profitieren Leistungserbringende, Patient:innen, Krankenkassen und Apotheken davon?
gematik: Der Vorteil ist, dass die ePA Daten in Bewegung bringt und denjenigen zugänglich macht, die sich um die Gesundheit der Versicherten kümmern. Praxen, Apotheken, Krankenhäuser, künftig auch Pflegeeinrichtungen und natürlich Versicherte selbst sowie ausgewählte Vertrauenspersonen können auf die Dokumente in der ePA zugreifen. Im Zentrum stehen im ersten Schritt die Medikationsdaten aus dem E-Rezept, die in einem zweiten Schritt um weitere Dosierangaben und Einnahmehinweise ergänzt werden können, ebenso um Angaben zu Allergien und Unverträglichkeiten.
INNO3: Die „ePA für alle“ Kampagne läuft seit einigen Wochen. Und die Akteur:innen und ihre Verbände positionieren sich in schnellerer Taktfolge zum Rollout. Wie fällt das aktuelle Feedback aus, das bei euch ankommt? Welche spezifischen Bedenken gibt es aktuell noch bei den beteiligten Akteur:innen? Und wie können diese abgebaut werden?
gematik: Das deutsche Gesundheitssystem ist komplex. Es gibt viele Akteur:innen in der Breite und in der Tiefe. Jede:r hat seinen eigenen Zuständigkeitsbereich und konkrete Interessen. Was wir wahrnehmen, ist viel Neugierde, intrinsische Motivation und die Frage vieler Akteur:innen: Wie können wir unseren Beitrag leisten? Als gematik arbeiten wir mittlerweile seit mehr als einem Jahr mit vielen Partner:innen zusammen, um bspw. Informationsmaterialien zum Thema ePA zu erarbeiten. In den TI-Modellregionen laufen die Arbeiten in der Vorbereitungsphase nun an, ebenso in einzelnen KV-Regionen, welche die ePA pilotieren wollen. Wir werden den Rollout und die Einführung technisch genau beobachten, um mögliche Fehlerbilder frühzeitig zu identifizieren und gemeinsam mit allen Beteiligten gegenzusteuern.
„Der Vorteil ist, dass die ePA Daten in Bewegung bringt und denjenigen zugänglich macht, die sich um die Gesundheit der Versicherten kümmern.“
INNO3: In Sachen Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit: Wie wird sichergestellt, dass die ePA für alle Patient:innen zugänglich ist, unabhängig von deren technischem Verständnis und digitalem Zugang?
gematik: In der Spezifikation für die ePA-Apps der Krankenkassen greifen wir in Kapitel 5.4.2.1. das Thema Barrierefreiheit auf. Hier referenziert die gematik die gängigen Orientierungshilfen DIN EN ISO 9241 und BITV 2.0, die bei der Entwicklung von Apps berücksichtigt werden, sowie weitere Anforderungen an die Benutzerfreundlichkeit. Die Umsetzung in den ePA-Apps obliegt den Krankenkassen. Diese ziehen darüber hinaus User Panels hinzu, um die Benutzerfreundlichkeit der Anwendung zu optimieren.
Zum Thema Nutzerfreundlichkeit im Rahmen der Identifikation bzw. Authentisierung: Hier haben wir sogenannte Akzeptanzfeatures eingeführt, um die Hürden für die Anmeldung mittels GesundheitsID zu senken und bspw. die Benutzung von FaceID zu ermöglichen, wenn die Versicherten sich aktiv dafür entscheiden. Die Festlegung der Akzeptanzfeatures haben wir in einem konstruktiven Austausch gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erarbeitet.
INNO3: Welche technologischen und regulatorischen Entwicklungen erwarten uns für die ePA im Laufe des Jahres 2025 und auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Welche davon versprechen die größten Mehrwerte auf dem Weg zur „Zentralen Datendrehscheibe des deutschen Gesundheitssystems“?
gematik: Die ePA muss zunächst starten, funktionieren und sich etablieren, damit sie sich entwickeln kann. Nach dem digital gestützten Medikationsprozess wird sich der Fokus voraussichtlich auf den Laborprozess richten. Darüber hinaus sehen wir die Themenfelder des Krankenhaus-Entlassbriefs, der Bildbefunde und Bilddaten sowie die Patientenübersicht. Bei all dem werden wir die Rahmenbedingungen und Erwartungshaltungen berücksichtigen, bspw. die Nutzung von Telemedizin, die Rolle der DiGAs und die Anforderungen des EHDS.
INNO3: Wenn ihr euch eine zusätzliche Funktion oder Eigenschaft der ePA wünschen dürftet – unabhängig von regulatorischen Aspekten, Datenschutz, technischen Limitationen oder politischen Zielen – welche wäre(n) es?
gematik: Wenn ich einen Zauberstab hätte, dann würde ich mir gleich zwei Dinge wünschen – eine Funktion der ePA und eine der TI: Für die ePA wünsche ich mir die Möglichkeit, dass Versorgende eine Zugriffsbefugnis an Dritte (bspw. ein Labor oder eine aufnehmende Reha-Klinik) delegieren können, ohne dass die versicherte Person vorher vor Ort gewesen sein muss. Und für die TI wünsche ich mir die E-Überweisung.