Rückblick: 3. DIVERSITY IN HEALTH CONGRESS 2024

Vergangenen Dienstag, am 27.02.2024, fand der 3. DIVERSITY IN HEALTH CONGRESS statt. Der Kongress wurde mit Inno3, gemeinsam mit dem WIG2 Institut und der Universität Leipzig (Health Economics and Management) veranstaltet. Unterstützt wurde der Kongress von AstraZeneca Deutschland, mkk- meine krankenkasse, Pfizer und Medienpartner Health&Care Management.

Erneut war es uns ein Anliegen, der Diversität im Gesundheitswesen eine Bühne zu geben und Themen zu beleuchten, die sonst wenig Beachtung finden: Beispielsweise Trans*-Medizin, diversitätssensible Pflege, Diskriminierung, Zugänge der Gesundheitsversorgung für verschiedene Personengruppen oder inklusive Medizin. Das Programm umfasste somit eine breite Palette von Themen und Beiträgen. Dadurch konnte an einem vielseitigen Kongresstag die Bedeutung von Diversität im Gesundheitswesen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und Handlungsstrategien hinsichtlich einer inklusiven Gesundheitsversorgung diskutiert werden.

Nach den einleitenden Grußworten von WIG2 Institut- Geschäftsführerin Dr. Ines Weinhold begann die Veranstaltung offiziell mit einer inspirierenden Keynote von Awa Naghipour (sie/-) und Lucia Mair (sie/ihr). Beide sind im Vorstand im Verein Feministische Medizin e.V. Awa Naghipour ist neben der Vereinsaktivität als medizinische Forscher:in in der Abteilung für geschlechtssensible Medizin an der Uni Bielefeld beschäftigt und Lucia Mair ist Ärztin sowie Medizinanthropologin an der Universität Wien. Sie beleuchteten das Thema Diversität unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und zeigten auf wo, wie und warum unser Gesundheitswesen diskriminiert. Deutlich wurde: Es gibt in der Medizin eine festgewachsene Norm (cis-männlich[1], heterosexuell, gesund, weiß) und alle Personen, die dieser Norm nicht entsprechen, werden in der Forschung und Lehre weniger abgebildet und berücksichtigt – daraus resultieren unter anderem Diskriminierung sowie ein erschwerter Zugang zur Gesundheitsversorgung:

„Es fehlt an medizinischer Forschung und an Wissen, dass die Realität unserer diversen Gesellschaft abbildet. Die Biomedizin hat sich für eine ausschließlich für eine zu lange Zeit einem normierten Standartkörper gewidmet, der nur einem kleinen Teil unserer Gesellschaft entspricht“ – Awa Naghipour

Die eindrückliche Keynote ebnete den Weg für den Themenspektrum des Kongresses, der genau an dieser Stelle ansetzt: Wie kann eine Gesundheit für alle gewährleistet werden, die individuelle Faktoren und Bedürfnisse berücksichtigt?

Queering Medicine als Perspektive und Praxis

Die erste Session Queering Medicine konzentrierte sich als Perspektive auf die Gesundheitsversorgung von LGBTQI*[2]-Personen. Die Session wurde eingeleitet von Robin Ivy Osterkamp (keine Pronomen). Robin Ivy zeigte zunächst auf, was es bedeutet, Trans* im Gesundheitssystem zu sein – so müssten Trans*-Personen Pathologisierung, fehlendem Wissen zu trans* Bedarfen und Paternalismus fürchten. Die Folgen seien Vermeidungsverhalten von Trans*-Personen hinsichtlich des Aufsuchens von Gesundheitseinrichtungen, Diskriminierung und Anpassungsdruck beispielsweise durch die Richtlinien des Medizinischen Diensts und der Reproduktion von Zweigeschlechtigkeit.  

Dem Vortrag von Robin Ivy schloss sich Dimitri Bilyarchyk (er/ihm) an. Dima ist Founder von Every Health, einem Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von Gesundheitslösungen für die LGBTQI*- Community spezialisiert hat:

„Die queere Bevölkerung wird öfter krank, sie ist unterversorgt und wächst sehr schnell und stetig an- Und genau hier setzt Every Health an – wir bauen die erste Online Praxis für die LGBTQIA*-Community auf und möchten die digitale Anlaufstelle für alle LGBTQIA+-Gesundheitsthemen werden“ – Dimitri Bilyarchyk

Anschließend referierte Milena Siebald (sie/ihr) und zeigte anhand Don’ts (beispielsweise herunterspielen und pathologisieren) und Do’s (hinhören und ernst nehmen) einen diskriminierungssensitiven Umgang in der Begleitung und Behandlung von Trans*-Kindern und Jugendlichen auf.

Den Abschluss der Session machte Eva Obernauer (sie/ihr) mit der Vorstellung des Programms Lebensort Vielfalt, der Qualifizierung und Zertifizierung für diversitätssensible Pflege und Gesundheitsförderung. Das zentrale Ziel des Qualitätssiegel sei es, Diskriminierungen und Benachteiligungen von Menschen in der Pflege zu vermeiden und dadurch Gesundheit zu fördern. In einer späteren Session erhielten von Stephanie Klingenmeier (sie/ihr) von Pflege im Quadrat konkrete Einblicke aus der Praxis. So ist Pflege im Quadrat die Piloteinrichtung für das erweiterte Programm des Qualitätssiegels. Stephanie Klingenmeier zeigte an konkreten Anwendungsbeispielen den Umgang mit der Diversität der Patient:innen (z.B. die offene Nachfrage nach Bezugspersonen und nicht explizit nach Ehepartner/Partner:innen) aber auch im Personalmanagement (beispielsweise die Schaffung einer Remote-Arbeitsstelle für eine neurodivergente Person).

(K)ein gerechtes Gesundheitssystem!? – systemische Herausforderungen

In der zweiten Session wurde sich dem Thema Diversität im Gesundheitswesen aus systemischer Perspektive genähert. Prof.in Dr. med. Verina Wild (sie/ihr), Professorin für Ethik der Medizin, Universität Augsburg, stellte am Beispiel von Corona die sozialen Determinanten von Gesundheit und Gerechtigkeit dar und verdeutlichte: Je ärmer / strukturell benachteiligter, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Krankheit und Mortalität. Sie appellierte u.a. zu mehr Datenerhebung sozialer Gradienten, einem tieferen Verständnis für soziale Vulnerabilitäten sowie bei der Planung von Gesundheitsmaßnahmen Ungleichheiten mitzudenken – insbesondere unter Beteiligung betroffener Gruppen.

Prof.in Dr. med. Meryam Schouler-Ocak (sie/ihr), leitende OÄ der Psychiatrischen Institutsambulanz an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité, stellte die verschiedenen Formen von Diskriminierung, Stigmatisierung und Rassismus vor und zeigte die Auswirkungen auf die Gesundheit auf. So werden Personen mit Migrationshintergrund beispielsweise mit einem erhöhten Risiko für mindestens eine psychiatrische Erkrankung assoziiert. Diskriminierung ist somit ein erheblicher Faktor der gesundheitlichen Ungleichheit.

„Die erhöhte Inzidenzrisiken für eine erhöhte Schizophrenie und ähnliche Störungen unter Migarnt:innen persisitiert auch in der 2. Generation. Vermutet wird, dass nicht biologisch und genetische Faktoren dafür verantwortlich gemacht werden können, sondern es sind die sozialen Lebensfelder.“ – Prof.in Dr. med. Meryam Schouler-Ocak

Dr. Nora Gottlieb, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung an der Universität Bielefeld, referierte zum Asylbewerberleistungsgesetz und die Auswirkungen auf Geflüchtete und das Gesundheitssystem. Sie machte deutlich, dass das AsylBLG negative Effekte auf die Gesundheit und den Zugang zur Versorgung hat: So bedeutet es erhöhte Belastungen für Leistungserbringende sowie mehr Kosten, weniger Kontrolle und Effizienz für das Gesundheitssystem. Die Konklusion lautete: Das AsylbLG wirkt seinem erklärten Ziel der Kostenminimierung entgegen.

Diversitäts- und Individualmedizin als Ziel der Gesundheitsversorgung

Session Drei fokussierte sich auf die Diversitäts- und Individualmedizin, wobei die Diversitätsmedizin das Ziel der gesundheitlichen Gleichstellung formuliert und die Individualmedizin den individuellen Patienten mit seinen Hintergründen und Gegebenheiten in den Vordergrund stellt, um für ihn eine bestmögliche Therapie zu ermöglichen.

Die Session wurde mit einem Impuls von Ulrike Haase (sie/ihr), Referentin für Frauen*gesundheitspolitik beim Netzwerk behinderter Frauen Berlin e.V. gestartet. Sie zeigte auf, mit welchen Barrieren Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen konfrontiert sind: Neben physisch räumlichen Barrieren wie nicht überwindbare Stufen und kommunikative Barrieren (z.B. schwere Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten) bestünden auch einstellungsbedingte (Verhalten von Geringschätzung und Respektlosigkeit) und strukturelle Barrieren wie bürokratische Hürden. Eine anschließende Forderung lautete zum Beispiel ein flächendeckendes Netz an barrierefreien Praxen.

Prof. Dr. Christian Walter-Klose (er/ihm), Lehrstuhlinhaber und Leitung des Arbeitsbereiches Beratung in sonderpädagogischen und inklusiven Arbeitsfeldern an der Universität zu Köln, schloss sich dem Themenfeld der inklusiven Medizin mit seinem Vortrag an. So stellte er unter anderem Ergebnisse aus der Befragung von Menschen mit (vornehmlich) Dysmelie vor, welche Erfordernisse aus ihrer Sicht notwendig sind, damit sie eine nahezu gleichwertige Behandlung bekommen können:

„Spezialisierte, ergänzende Systeme der Gesundheitsversorgung sind unerlässlich, stellen aber kein Grund dafür dar, dass die Regelversorgung nicht inklusiver werden muss. Hier sind Anpassungen im Bereich der Ausbildung, Ressourcen und im Gesundheitssystem notwendig, um Inklusion zu ermöglichen.“ – Prof. Dr. Christian Walter-Klose

Prof.in Dr. Marie von Lilienfeld-Toal (sie/ihr), Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, beschrieb zunächst ihr Verständnis der Diversitätsmedizin als kontextbewusste Medizin, die den Kontext, in der ein Mensch krank geworden ist, adäquat berücksichtigt. Bisher zeichnet sich die Evidenz durch viele Lücken auf, da beispielsweise marginalisierte Gruppen in klinischen Studien unterrepräsentiert sind. Eine gesundheitliche Gleichstellung könne man jedoch nur erreichen, wenn Vorurteile abgebaut und Kontexte (er)kannt werden. Dabei sei ein intersektionaler Ansatz[3] notwendig. Das Institut für Diversitätsmedizin an der Ruhr Universität Bochum, den Prof.in von Lilienfeld-Toal mitaufbaut, möchte diesen Ansatz implementieren und eine gesundheitliche Gleichstellung durch kontextbewusste Medizin erreichen.

Zudem fand in der Session ein Exkurs in das Feld der Pharmakologie statt: Prof.in Dr. Petra Thürmann (sie/ihr), Vizepräsidentin der Universität Witten/Herdecke und Lehrstuhlinhaberin für Klinische Pharmakologie thematisierte in ihrem Vortrag Geschlechts-/ Gender-bezogene Unterschiede in der Arzneimitteltherapie. Sie zeigte auf, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wahrnehmung von Beschreibung und Schmerzen relevant sind und appellierte zu einer kritischen Reflexion der eigenen Wahrnehmung und Stereotypen sowie der Berücksichtigung der Aspekte bei der Therapie, zum Beispiel bei der Aufklärung bei Nebenwirkungen und Wahl der korrekten Dosis.

Diversity Management als Strategie

Der Kongress wurde mit der Session Diversity Management in Organisationen des Gesundheitswesens beendet. Neben dem Vortrag von Stephanie Klingenmeier hielt Andrea Galle (sie/ihr), Alleinvorständin der mkk-meine krankenkasse, eine Session Keynote sowie Dr. Dorothee Schoreit (sie/ihr), Vice President Legal Affairs, AstraZeneca Deutschland, einen Vortrag.

Andrea Galle thematisierte die Frauenanteile in Führungspositionen im Gesundheitswesen und zeigte auf, dass nur rund 29% aller Führungspositionen im Gesundheitswesen besetzt sind. In der Universitätsmedizin sind es nur rund 13%, im Vorstand der Innungkrankenksasen nur 10%. Jedoch wurde ebenso deutlich, dass sich die politischen Rahmenbedingungen verändern und die geschlechtersensible Medizin eine zunehmende Aufmerksamkeit erfährt. Auch zeigte sie, wie sie mit der mkk- meine krankenkasse Diversität fördern – beispielsweise durch eine paritätische Führung, Gleichstellungbeauftragte, geschlechtersensible Angebote für Versicherte und Themen-Kampagnen.

Dr. Dorothee Schoreit gab Einblicke in das Diversity Management bei AstraZeneca. So wird Diversität durch eine Top-Down-Strategie und klaren Richtlinien gefördert. Zum einen wird darauf geachtet, diverse Teams zu bilden und zu fördern. Ebenso wurden in der Vergangenheit für Führungskräfte verschiedene Workshops und Trainings beispielsweise zum Thema Unconcious Bias[4] durchgeführt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Employee Resource Groups, welches freiwillig von Mitarbeitenden gegründete Gruppen sind, die sich zu aus der Belegschaft heraus gegebene Themen wie kulturelle Vielfalt, 50+, LGBTQI*,etc. zusammenschließen, austauschen und Impulse geben und dadurch den Blick auf die Belange der unterschiedlichen Kolleg:innen in den Blick rücken.

Der Weg zu einer Gesundheitsversorgung für alle

Der DIVERSITY IN HEALTH CONGRESS bot erneut eine Plattform für den Wissensaustausch und Expert:innendiskussionen zwischen verschiedenen Akteur:innen im Gesundheitswesen. Neben der Thematisierung bestehender Ungleichheiten im Gesundheitswesen konnten Strategien aufgezeigt werden, die dafür arbeiten, diese aufzudecken und zu verringern. Der Raum wurde eröffnet, bestehende Normen und Barrieren zu reflektieren und für verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse verschiedener Personengruppen zu sensibilisieren. Wir verstehen den Kongress somit als Impuls, das Gesundheitssystem inklusiver, gerechter und vielfältiger zu gestalten.

Wir freuen uns bereits jetzt ankündigen zu dürfen, dass wir 2025 den 4. DIVERSITY IN HEALTH CONGRESS veranstalten werden.

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[1] Als cis werden alle Personen beschrieben, deren Geschlechtsidentität mit dem der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.  

[2] LGBTQI* ist eine Sammelbezeichnung für sexuelle Orientierungen und Identitäten, die abseits des binären „männlich“ und „weiblich“ sowie der Heterosexualität stehen. Die Kürzel stehen dabei für „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer“, das Sternchen (*) möchte dabei weitere Identitäten umfassen.  

[3] Intersektionalität beschreibt die Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungen.

[4] Unbewusste Vorurteile.

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