Nachbericht: 4. DIVERSITY IN HEALTH CONGRESS 2025

 Am 25. Februar 2025 fand der 4. Diversity in Health Congress 2025 statt – eine wegweisende Veranstaltung, die in einer Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen und wachsender Ungleichheiten im Gesundheitswesen ein starkes Zeichen für eine gerechtere und inklusivere Versorgung setzte. Unter dem Motto „Wie kann eine gerechte Gesundheit für alle erreicht werden?“ versammelten sich führende Expert:innen aus den Bereichen Medizin, Wissenschaft, Politik und Aktivismus, um die vielschichtigen Herausforderungen im Gesundheitssektor zu beleuchten. Dabei wurde nicht nur auf die bestehenden Ungleichheiten im System hingewiesen, sondern auch intensiv über konkrete Lösungen und innovative Ansätze diskutiert, die eine gerechtere, inklusive Gesundheitsversorgung für alle Menschen ermöglichen sollen.

Der Kongress wurde mit Inno3, gemeinsam mit dem WIG2 Institut und der Universität Leipzig (Health Economics and Management) veranstaltet. Unterstützt wurde der Kongress von mkk- meine krankenkasse, Pfizer und Medienpartner Health&Care Management.

Keynote: Warum es unmöglich ist, „richtig“ über Diversität zu sprechen

Den Auftakt des Kongresses bildete die Keynote von Dr. Julia Zielke (Scientific Coordinator, Einstein Center Population Diversity an der Charité Berlin) mit dem Titel „Sind wir nicht alle divers? – Warum es (mir) so schwerfällt, über Diversität zu sprechen“. In ihrem Vortrag zeigte sie eindrucksvoll, dass Diversität weit mehr ist als eine Sammlung von Identitätsmerkmalen. Vielmehr stelle sie eine kritische Perspektive dar, die hinterfrage, was als „normal“ gelte, welche Strukturen bestimmte Gruppen begünstigten oder benachteiligten und wie Barrieren abgebaut werden könnten – sowohl für Patient:innen (beispielsweise durch niedrigschwellige Initiativen im Kiez oder mobile Gesundheitsstationen) als auch für das Personal (beispielsweise durch Mentoring oder flexible Arbeitszeitmodelle) im Gesundheitswesen.

Besonders eindrücklich war Zielkes Reflexion darüber, wie schwierig es sei, „richtig“ über Diversität zu sprechen. Sie machte deutlich, dass es keine perfekte Sprache gebe, die allen gerecht werde. Vielmehr sei Diversität ein kontinuierlicher Aushandlungsprozess, der Offenheit, Reflexion und die Bereitschaft erfordere, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Dabei plädierte sie für eine neue Fehlerkultur, in der Unsicherheiten nicht als Scheitern, sondern als Teil eines kollektiven Lernprozesses verstanden würden. Denn nur wenn bestehende Strukturen und Privilegien hinterfragt, neue Perspektiven eingenommen und kreative sowie emotionale Wege gefunden werden, könne Diversität im Gesundheitswesen mehr sein als ein Schlagwort – nämlich eine echte Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit und Teilhabe.

Die Keynote setzte damit einen wichtigen Rahmen für die folgenden Sessions und schärfte den Blick für strukturelle Diskriminierung im Gesundheitssystem.

Session 1: LGBTQI* in der Medizin – Herausforderungen und Chancen

Die erste Session widmete sich den spezifischen Gesundheitsbedürfnissen von LGBTQI*-Personen. Dabei wurden Herausforderungen im medizinischen Bereich aufgezeigt und diskutiert, wie eine diversitätssensible Gesundheitsversorgung gelingen könne.

Den Beginn machte Dr. med. Martin Viehweger (Allgemeinmedizin, ViRo Praxis Schillerkiez Berlin). Er stellte die hausärztliche ViRo-Praxis in Berlin vor, die als niedrigschwellige Anlaufstelle für queere und trans*-Personen dient. Ziel ist eine inklusive Gesundheitsversorgung, die die spezifischen Bedürfnisse dieser Community erkennt und angemessen behandelt. Viehweger betonte die Bedeutung eines interdisziplinären und intersektionalen Ansatzes, um Barrieren in der medizinischen Versorgung abzubauen. Wichtige Aspekte dabei seien die Sensibilisierung des gesamten Praxisteams, die Vernetzung mit NGOs und Peer-Organisationen sowie die Schaffung einer einladenden Atmosphäre. Zudem plädierte er für eine stärkere Integration transaffirmativer Medizin in die hausärztliche Versorgung anstelle einer zusätzlichen Fachdisziplin.

„Transaffirmative medizinische Begleitung ist kein Hexenwerk – sie sollte als wichtiges Querschnittsfach in der hausärztlichen Medizin stärker verankert werden, anstatt eine neue fachärztliche Struktur zu schaffen.“ – Dr. med. Martin Viehweger

Der nächste Vortrag nahm das Thema Intergeschlechtlichkeit und Gesundheit in den Blick. Michael Rogenz (Landeskoordination Inter*, Queeres Netzwerk Niedersachsen e.V.) erklärte zunächst, was Intergeschlechtlichkeit bedeutet und betonte, dass es sich um natürliche, gesunde Varianten der Geschlechtsmerkmale handelt. Dennoch seien intergeschlechtliche Menschen historisch pathologisiert und oft ohne medizinische Notwendigkeit operiert worden, insbesondere im Kindesalter.

„Intergeschlechtliche Menschen kennen ihren Körper oft sehr gut – doch ihre Expertise wird im Gesundheitssystem nicht ernst genommen, was zu schädlichen oder unangenehmen medizinischen Maßnahmen führt.“ – Michael Rogenz

Dies habe gesundheitliche und psychische Belastungen zur Folge gehabt. Trotz rechtlicher Fortschritte gebe es weiterhin Schutzlücken. Rogenz plädierte für eine bessere Aufklärung im Gesundheitswesen und empfahl Peer-Beratung für intergeschlechtliche Menschen und ihre Angehörigen, um Unsicherheiten zu begegnen und Selbstbestimmung zu fördern.

Den Abschluss der Session bildete Anne Baumann (Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin, Universität Köln), die über Diversität in der Palliativmedizin sprach. Sie wies darauf hin, dass die Realität oft nicht den Wünschen der Sterbenden entspreche: Während viele einen Abschied zu Hause oder im Hospiz bevorzugen, versterben die meisten in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen.

„Jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht auf eine umfassende medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Betreuung und Begleitung, die seiner individuellen Lebenssituation und seinem hospizlich-palliativen Versorgungsbedarf Rechnung trägt.“ – Anne Baumann

Gerade für LSBTIQ-Personen* sei eine einfühlsame und inklusive Palliativversorgung essenziell, da ihre sozialen Netzwerke oft anders strukturiert seien. Häufig erlebten sie Diskriminierung und mangelnde Anerkennung ihrer Beziehungen, was ihre letzte Lebensphase erschwere. Baumann empfahl Anti-Diskriminierungsrichtlinien, die Einbeziehung der LGBTQI*-Community in Fortbildungen sowie mehr Sichtbarkeit durch Materialien in der Öffentlichkeitsarbeit.

Session 2: Personalisierte Zukunft – von Gender Health bis Präzisionsmedizin

Diese zweite Session beleuchtete, wie individuelle Gesundheitsbedarfe stärker in medizinische Forschung und Versorgung integriert werden können – von gendersensibler Medizin bis hin zu Präzisionsmedizin. Während die erste Session einen breiten Blick auf Geschlecht jenseits binärer Kategorien warf, lag der Fokus in der zweiten Session – insbesondere im Bereich der geschlechtersensiblen Pharmakologie und Medizin – stärker auf den biologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Die Vorträge in dieser Session zeigten eindrücklich, wie medizinische Forschung lange Zeit männliche Normwerte als Standard genommen hat, was gravierende Auswirkungen auf Diagnosen, Behandlungen und Medikamentenentwicklung hatte.

Gleichzeitig stellte sich in der anschließenden Diskussion die Frage, ob der Fokus auf das binäre Geschlecht als primärer Differenzierungsfaktor langfristig ausreicht. Ein Publikumskommentar regte an, statt von Geschlecht stärker von individuellen Faktoren wie Hormonhaushalt, Körperzusammensetzung oder Lifestyle zu sprechen. Die Antwort des Podiums war differenziert: Geschlechtersensible Medizin sei ein essenzieller erster Schritt, um bestehende Ungleichheiten zu adressieren – aber eben nur ein erster Schritt. Eine wirklich individualisierte und diversitätssensible Medizin müsse auch intersektionale und kontextspezifische Faktoren stärker einbeziehen.

Den Auftakt der Session machte Andrea Galle (Alleinvorständin, mkk – meine krankenkasse) mit ihrem Vortrag Geschlechtsunterschiede bei Prävention, Diagnose und Therapie. Sie betonte, dass biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht nur anatomischer Natur seien, sondern auch den Stoffwechsel, den Hormonhaushalt und die Medikamentenwirkung beträfen.

Besondere Aufmerksamkeit lenkte sie auf Nierenerkrankungen und chronische Blasenentzündungen, bei denen Frauen seltener frühzeitig diagnostiziert und schlechter medizinisch versorgt würden als Männer. Ein zentrales Problem sei, dass Frauen in medizinischen Lehrbüchern und Studien unterrepräsentiert seien, was zu mangelhafter Diagnostik und Behandlung führe.

Galle forderte eine interprofessionelle Zusammenarbeit und die Integration biologischer Geschlechtsunterschiede in Forschung und Leitlinien. Zudem plädierte sie für mehr Gendersensibilität in Diagnose und Therapie, die Förderung gendersensibler medizinischer Forschung sowie gesetzliche Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Versorgung.

„Geschlechtsspezifische Medizin ist unverzichtbar, da biologisch weibliche und männliche Körper Krankheiten unterschiedlich wahrnehmen und Therapien verschieden verarbeiten.“ – Andrea Galle

Anschließend widmete sich Dr. Dirk Keiner (Chefapotheker, Sophien- und Hufelandklinikum Weimar) der geschlechtersensiblen Arzneimitteltherapie. Er erläuterte, dass Frauen häufiger zur Selbstmedikation griffen, aber zugleich therapietreuer seien als Männer. Zudem träten bei ihnen häufiger Nebenwirkungen auf, was eine individualisierte Medikation unter Berücksichtigung des Geschlechts essenziell mache.

In Apotheken und Kliniken spiele das Medikationsmanagement eine zentrale Rolle, um Risiken zu minimieren und die Patientensicherheit zu erhöhen. Studien zeigten, dass Frauen besonders von einer optimierten Arzneimittelversorgung profitierten.

„Personalisierte Medizin zielt darauf ab, die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu verbessern und Nebenwirkungenzu minimieren durch maßgeschneiderte Behandlung bei spezifischen Patientengruppen.“ – Dr. Dirk Keiner

Prof.in Dr. Anke Hinney (Kommissarische Direktorin am Institut für Geschlechtersensible Medizin, Universität Duisburg-Essen) sprach in ihrem Vortrag Bitte ungleich behandeln – geschlechtersensible Aspekte in der Medizin über die Relevanz geschlechtersensibler Medizin und betonte die Notwendigkeit, sowohl biologische als auch soziale Faktoren (Sex und Gender) in der medizinischen Forschung und Praxis zu berücksichtigen. Sie führte zahlreiche Beispiele an, in denen Geschlechtsunterschiede eine Rolle spielen, darunter Lebertransplantationen, Herzinfarkte, Autoimmunerkrankungen und die Pharmakologie. Ein zentrales Problem sei, dass viele Studien das Geschlecht noch immer nicht ausreichend beachten, was zu einer schlechteren medizinischen Versorgung von Frauen führen kann. Besonders eindrucksvoll schilderte sie die historische Entwicklung, bei der Frauen aufgrund der Contergan-Katastrophe lange Zeit aus klinischen Studien ausgeschlossen wurden, was erhebliche Wissenslücken zur Folge hatte.

„Um die Zukunft der Medizin voranzutreiben, müssen wir sowohl in der Forschung als auch in der Lehre die Bedeutung geschlechtsspezifischer und genderspezifischer Mechanismen stärker berücksichtigen. Nur so können wir nicht nur das Verständnis der biologischen Wissenschaften erweitern, sondern auch die klinische Praxis auf eine individuellere und präzisere Therapie ausrichten.“ – Dr. Anke Hinney

Den Abschluss der Session bildete Thao Nguyen (Gründerin, EQUAL CARE) mit ihrem Vortrag Künstliche Intelligenz für eine inklusive und personalisierte Medizin. Sie sprach über die Zukunft der personalisierten und geschlechtersensiblen Medizin und hob hervor, dass das aktuelle Gesundheitssystem oft nicht auf die Vielfalt der Bevölkerung abgestimmt sei. Insbesondere Künstliche Intelligenz (KI) biete die Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge zu berücksichtigen und individuell angepasste medizinische Entscheidungen zu treffen. Eine „gute Gesundheits-KI“ müsse jedoch bestimmten Kriterien entsprechen, um wirklich effektiv und gerecht zu sein. Thao beschrieb vier zentrale Aspekte:

  • 1. Präzise Grundlagenforschung: Klinische Studien müssten inklusiv gestaltet werden, sodass verschiedene Geschlechter, Ethnien und soziale Faktoren berücksichtigt werden. Entscheidend sei das Verhältnis zwischen der Häufigkeit einer Krankheit in der Bevölkerung und ihrer Repräsentation in Studien. Nur so könne sichergestellt werden, dass medizinische Erkenntnisse auf alle Betroffenen anwendbar sind.
  • 2. Gutes KI-Design: Neben medizinischen Standards müssten auch Datenschutz und eine sinnvolle Integration in den Klinikalltag gewährleistet sein.
  • 3. Verantwortungsvolle Entwicklung: Die Trainingsdaten der KI müssten ausgewogen sein, um bestehende Ungleichheiten nicht zu verstärken. Zudem dürfe die Validierung nicht nur mit denselben Daten erfolgen, mit denen die KI trainiert wurde – eine unabhängige Überprüfung ist essenziell.
  • 4. Integration und Vertrauensbildung: Damit KI in der Praxis funktioniere, müsse sie sich nahtlos in den klinischen Alltag einfügen. Ärzt:innen und Patient:innen müssten nachvollziehen können, wie Diagnosen und Entscheidungen zustande kommen.

„KI ist ein sehr mächtiges Werkzeug – ob es für uns funktioniert und für Gerechtigkeit sorgt oder Ungleichheiten weiter skaliert, das liegt wirklich an jedem Einzelnen in diesem System.“- Thao Nguyen

Session 3: Gesundheit für alle – Wie erreichen wir eine inklusive Versorgung?

In der dritten Session ging es darum, strukturelle Diskriminierung im Gesundheitssystem sichtbar zu machen und Wege aufzuzeigen, wie eine gerechtere Versorgung erreicht werden kann.

Den Auftakt machte Hanna Kindlein (Mitgründerin Verein aktiv und selbstbestimmt (akse e.V.)) mit ihrem Vortrag über Ableismus im Gesundheitswesen und die Notwendigkeit einer inklusiven Gesundheitsversorgung. Sie erklärte, dass der Begriff „Ableismus“ Diskriminierung und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen bezeichnet und eine Ideologie darstellt, die Menschen ohne Behinderung als überlegen ansieht. Diese Haltung führt zu strukturellen Barrieren, wie nicht barrierefreien Einrichtungen und standardisierten Behandlungsansätzen, die die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ignorieren. Kindlein, selbst im Elektrorollstuhl, berichtete von eigenen Erfahrungen im Gesundheitswesen, in denen ihre Bedürfnisse oft nicht ernst genommen wurden. Sie forderte mehr gesetzliche Regelungen zur Barrierefreiheit, sowohl im physischen als auch im digitalen Bereich, sowie Schulungen für medizinisches Personal im Umgang mit Menschen mit Behinderungen, die Förderung inklusiver Forschung und die Schaffung von Beschwerdestellen für Diskriminierung im Gesundheitswesen.

„Eine inklusive Gesundheitsversorgung ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig für eine gerechte Gesellschaft.“ – Hanna Kindlein

An die Diskussion über Ableismus schloss sich der Vortrag von Dr. med. Björn Kruse (Chefarzt, Behandlungszentrum für psychische Gesundheit bei Entwicklungsstörungen) an, der sich auf die medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung konzentrierte. Er betonte, dass viele behandelnde Ärzte unzureichendes Fachwissen hätten. Er unterstrich die Bedeutung spezialisierter Ausbildungsstätten und Verbesserungen in der Kommunikation mit Patienten mit intellektuellen Entwicklungsstörungen. Dazu gehörten z.B. die Verwendung einfacher Sprache und das Vermeiden von Fachbegriffen. Kruse wies darauf hin, dass Patienten mit Intelligenzminderung oft Schwierigkeiten hätten, ihre Beschwerden zu äußern, was die Diagnose erschwere. Er plädierte für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Erstellung individualisierter Behandlungspläne.

„Viele Ärzte haben oft unzureichendes Wissen darüber, was in ihrer Arbeit wirklich erforderlich ist und wie sie richtig mit den Betroffenen umgehen sollten. Daher ist es entscheidend, geeignete Ausbildungsstätten zu schaffen. Das gilt nicht nur für den medizinischen Bereich, sondern auch für die Vermittlung von Wissen darüber, wie man mit Menschen umgeht, die Entwicklungsstörungen in der Intelligenzentwicklung haben. Es geht nicht nur darum, Fachwissen zu vermitteln, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse dieser Menschen zu fördern – vor allem in einer Gesellschaft, die leider immer noch häufig mit Barrieren und Stigmatisierungen zu kämpfen hat.“ – Dr. med Björn Kruse

Der thematische Übergang wurde weitergeführt durch Dr. Cihan Sinanoğlu (Leiter NaDiRa Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung), der in seinem Vortrag auf die tief verwurzelte Diskriminierung im Gesundheitswesen einging – diesmal aus der Perspektive von Rassismus. Er machte deutlich, dass Rassismus nicht nur auf individueller Ebene existiert, sondern auch in institutionellen Strukturen und Praktiken verwurzelt ist – mit erheblichen Folgen für den Zugang zu Gesundheitsdiensten und den Gesundheitszustand betroffener Personen. Sinanoğlu verwies auf eine Untersuchung, die zeigte, dass Menschen, die rassistische Erfahrungen gemacht haben, ihre eigene Gesundheit oft schlechter einschätzten. Zudem belegten Studien, dass Personen mit nicht-deutschen Namen bei der Terminvergabe benachteiligt werden. Besonders Frauen aus rassistisch markierten Gruppen werden in der medizinischen Versorgung häufig nicht ernst genommen oder stigmatisiert.

„Rassismus zeigt sich nicht nur in individuellen Vorurteilen, sondern auch in institutionellen Praktiken und Strukturen, die in größeren gesellschaftlichen Kontexten eingebettet sind, wie zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung.“ – Dr. Cihan Sinanoglu

Dieser Diskurs über institutionellen Rassismus und die daraus resultierenden Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung bildet einen guten Übergang zum Vortrag von Sabine Mauer (Psychologische Psychotherapeutin, Vizepräsidentin Bundestherapeutenkammer), Vizepräsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer. Sie erklärte, wie Diskriminierung die psychische Gesundheit beeinträchtigt. Sie verwies auf eine Umfrage, bei der 62% der Befragten angaben, dass ihre Rassismuserfahrungen in der Psychotherapie nicht anerkannt wurden. Diese Diskriminierungserfahrungen führten zu schlechterer Gesundheitsversorgung und verhinderten oft die Inanspruchnahme von Therapieangeboten. Mauer forderte eine diskriminierungssensible Psychotherapie und eine verstärkte strukturelle Verankerung von Diversität und Antidiskriminierung im Berufsstand. Sie betonte, dass die Bundespsychotherapeutenkammer 2023 eine Expert:innenkommission zu Antidiskriminierung und Diversität ins Leben gerufen habe, um Diskriminierung in der psychotherapeutischen Versorgung abzubauen und die Kammerarbeit inklusiver zu gestalten. Ziel sei es, durch Fortbildungen, Leitlinien und die Integration marginalisierter Gruppen in die Strukturen der Kammer eine diskriminierungssensible Psychotherapie zu fördern.

„Wir müssen dringend daran arbeiten, die Zugangs-Gerechtigkeit zur Psychotherapie zu verbessern, weil die Gruppen, die am meisten marginalisiert sind, eigentlich den schlechtesten Zugang zur Psychotherapie haben.“ – Sabine Maur

Session 4: Vielfalt Managen – Strategien für mehr Diversität

Zum Abschluss des Kongresses wurde diskutiert, wie Diversity & Inclusion in Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen langfristig gestärkt werden können. Neben erfolgreichen Praxisbeispielen wurde auch thematisiert, dass viele Unternehmen und Einrichtungen ihre Diversity-Programme zurückfahren oder einstellen – eine alarmierende Entwicklung, die nicht unbeachtet bleiben darf.

Den Auftakt machte Prof. Dr. Ilka Benner (Professorin für Berufspädagogik mit dem Schwerpunkt Lernortgestaltung und Lernortkooperation in den Gesundheitsberufen, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften)  mit  ihrem Vortrag über Diversitätskompetenzen in der akademischen Ausbildung, insbesondere in den Gesundheitsberufen. Sie betonte die Bedeutung von Diversitätskompetenz als integralen Bestandteil der beruflichen Handlungskompetenz. Ihr Fokus lag darauf, wie diese Kompetenz in die Curricula aller relevanten Studiengänge und Ausbildungen integriert werden könne. Ein zentrales Problem sei die mangelnde Datenlage zu Diskriminierung im Gesundheitswesen, wodurch viele Benachteiligungen unsichtbar blieben. Zudem stellte sie praxisnahe Methoden vor, um eine diversitätssensible Hochschuldidaktik zu fördern. Dabei hob sie u. a. hervor, dass Lehrmethoden kritisch hinterfragt und angepasst werden sollten, um gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht unbewusst zu reproduzieren.

„Diversitätskompetenz ist ein zentraler Bestandteil der beruflichen Handlungskompetenz und muss in alle Curricula integriert werden – von der Pflegeausbildung bis hin zum Gesundheitsmanagement.“ – Prof.in Dr. Ilka Benner

Eugenia Henke (Integrationskoordinatorin, AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG) in ihrem Vortrag Zwischen Kulturen und Kompetenzen – Wie gelingt nachhaltige Integration internationaler Pflegekräfte? über die Herausforderungen und Lösungen bei der Eingliederung ausländischer Fachkräfte. Sie betont die Bedeutung einer diversitätsbewussten Willkommenskultur, interkultureller Kommunikation und sozialer Teilhabe.

Ein zentrales Problem bei der Integration internationaler Pflegekräfte sei die Sprachbarriere, die häufig zu Missverständnissen im Arbeitsalltag führe, sowie kulturelle Unterschiede, die sich in verschiedenen Pflegeansätzen und Erwartungen äußerten. Auch bürokratische Hürden bei der Anerkennung von Qualifikationen erschwerten den Berufseinstieg und viele Pflegekräfte fühlen sich außerhalb der Arbeit sozial isoliert. Henke schlägt vor, diese Herausforderungen mit interkulturellen Trainings, Teambuilding-Maßnahmen und einem strukturierten Onboarding-Programm zu bewältigen. Mentoren und feste Ansprechpersonen sollen die Pflegekräfte durch den Anerkennungsprozess begleiten. Zusätzlich sollten „Get-Together-Calls“ vor der Einreise und Willkommensprogramme nach der Ankunft helfen, den sozialen Anschluss zu fördern. Henke betont, dass die Vielfalt im Team als Ressource genutzt werden sollte, da unterschiedliche Perspektiven zur Weiterentwicklung der Pflegeprozesse beitragen können.

„Es ist ein Marathon – man kann sich nicht überholen. Wichtig ist, gleichmäßig, aber beständig voranzukommen.“ -Eugenia Henke

In ihrem Vortrag sprach Ellen Conteh Blumberg (Gesundheits- und Krankenpflegerin / Zentrale Praxisanleitung mit Schwerpunkt internationale Pflegekräfte Antidiskriminierungsbeauftragte , St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof)  über Rassismus in der Gesundheitsversorgung und über die über verschiedene Maßnahmen, die in ihrem Krankenhaus ergriffen wurden, um Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen und die Vielfalt zu fördern. Dazu gehört die Gründung einer Diversity Task Force, die mit Schulungen für Mitarbeitende begann, um Wissenslücken zu füllen und die Sensibilisierung für unterschiedliche Patientengruppen zu stärken. Sie berichtete, dass sie als Antidiskriminierungs-Beauftragte eingesetzt wurde, die Mitarbeitende unterstützt, die Diskriminierung erleben oder beobachten. Ein weiteres Beispiel für die Maßnahmen ist die Einführung von freiwilligen Fortbildungen für Mitarbeitende sowie die Möglichkeit, eine sofortige Namensänderung oder geschlechtliche Eintragung für Trans*- oder nicht-binäre Personen vorzunehmen. Blumberg berichtete von eigenen Erfahrungen mit Rassismus im Arbeitsalltag – von Fragen nach ihrer Herkunft bis hin zur Diskriminierung aufgrund ihres Namens oder ihrer Sprache. Sie betonte, dass Rassismus in allen gesellschaftlichen Bereichen bekämpft werden müsse, angefangen bei Bildung und Ausbildung.

Ein zentraler Punkt ihres Vortrags war, dass Menschen mit Privilegien erkennen müssten, dass Antidiskriminierungsarbeit nicht um sie geht, sondern um die Betroffenen. Wichtig sei es, eine Plattform zu schaffen, auf der die Stimmen der Betroffenen gehört und unterstützt werden.

„Die meisten Menschen, die diskriminierend handeln, handeln nur so, weil sie es so gelernt haben. Es ist etwas, was wir uns angelernt haben, und es ist auch etwas, was wir auf lange Sicht wieder verlernen können, wenn wir es denn wollen.“ – Ellen Conteh-Blumberg

Den Abschluss der Session bildete der Vortrag von Carina und Maram, zwei Medizinstudentinnen und Leiterinnen des Projekts DIM – Diversität in der Medizin, das Teil der BVMD (Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland) ist.

Sie betonten, dass Diversität nicht nur im medizinischen Berufsalltag, sondern auch in der Lehre und im Studium berücksichtigt werden müsse. Das 2022 in Greifswald gegründete Projekt hat sich mittlerweile auf neun Lokalgruppen ausgeweitet und setzt sich für die Sensibilisierung von Studierenden und Dozierenden ein, um ein inklusiveres und gerechteres Medizinsystem zu schaffen. Aktuell sei Diversität kein flächendeckender Bestandteil des Medizinstudiums. Während einige Universitäten Wahlfächer zu Themen wie Gendermedizin anbieten, liegt es noch immer an den einzelnen Dozierenden, wie und ob diese Themen behandelt werden. Besonders in Modellstudiengängen sei das Thema besser integriert, doch eine bundesweite Verpflichtung fehle.

Ziel des Projekts ist es, Diversität stärker im Medizinstudium zu verankern und das Bewusstsein zu steigern. Nationale Ziele beinhalten eine langfristige Integration in die Prüfungsordnung und einen interdisziplinären Austausch.

„Das Thema Diversität wird überwiegend nicht integriert… es ist eben nicht Teil des Pflichtkurrikulums und es ist dann quasi den Dozierenden und den Studierenden selbst überlassen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.“ – Maram & Carina

Fazit und Ausblick

Der Diversity in Health Congress 2025 hat einmal mehr die Dringlichkeit der Diskussion über Diversität und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen verdeutlicht. Die Beiträge der Speaker:innen machten klar: Strukturelle Diskriminierung ist tief im Gesundheitssystem verwurzelt. Gleichzeitig wurde jedoch auch gezeigt, dass es bereits zahlreiche Initiativen und Lösungsansätze gibt, die auf eine inklusivere und gerechte Versorgung hinarbeiten.

Ein zentrales Learning der Veranstaltung war, dass Veränderung nicht von selbst geschieht. Besonders in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche ist es umso wichtiger, für Vielfalt, Inklusion und eine gerechte Gesundheitsversorgung einzutreten.

Unser Dank gilt allen Speaker:innen, Teilnehmenden und Partner:innen, die diesen Kongress ermöglicht haben. Die Veranstaltung bleibt online zugänglich, und wir freuen uns darauf, die Diskussion weiterzuführen – denn der Weg zu einer gerechteren Gesundheitsversorgung ist noch lange nicht beendet.

Wir freuen uns auf den nächsten Diversity in Health Congress 2026!

 

 

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